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AutorenbildSabine Rentsch

Wie das Sein zum Da-Sein kam

Eine Weihnachtsgeschichte aus der Reihe Impuls abc 2024


Schwitzend und keuchend näherte sich ein Sein einer Quelle. Es blickte wieder einmal auf ein strenges Jahr zurück und hatte noch so viel zu erledigen. Es hörte die Stimme, die es ermahnte: «Denk daran – das Jahr ist noch nicht zu Ende! Da kommt noch Weihnachten, die Altjahreswoche und Silvester. Geschenke wollen unter dem Baum aufgetürmt werden und genügend Essen soll auf dem Tisch stehen. Das alte Jahr will gebührend verabschiedet und das Neue mit sinnvollen und ernst gemeinten Vorsätzen begrüsst werden. Bei der Arbeit gibt es bestimmt auch noch Dinge, die nicht warten können. Du siehst, du hast also noch einiges zu erledigen. Überleg dir also gut, ob du es dir leisten kannst, dich hier einen Moment ans Ufer dieses Quells zusetzen!» Sein kannte diese Stimme aus unzähligen Jahren zuvor und es kannte auch die Ermahnungen, die sich von Jahr zu Jahr glichen und sich jährlich wie kleine Peitschenhiebe anfühlten. Peitschenhiebe, die es zum Ziel namens «Weihnachten» und «Jahresende» begleiten sollten.


Als es sich nun diesem wunderbaren Ort und der besagten Quelle näherte, entdeckte es am Ufer eine zauberhafte Gestalt, die es sich auf einer Bank gemütlich gemacht hatte. Sie sass auf einem wärmenden Fell, streckte ihr Gesicht in die Sonne und vor ihr flackerte ein munteres Feuerchen. Sie schien nicht zu frieren, obwohl bereits eine weisse Schneeschicht das Land überzog. Beim genaueren Hinsehen hatte Sein den Eindruck, die Gestalt bereits einmal gesehen zu haben. Wo war das? Früher einmal? In der Kindheit? Es konnte sich nicht daran erinnern. Und während es noch überlegte, ob es einfach an dem Geschöpf vorbeigehen soll, realisierte es, dass seine Füsse es bereits in Richtung der Bank trugen. Und mit einem verwunderten Gesicht setzte Sein sich entgegen dem eigentlichen Vorhaben weiterzugehen, neben die Gestalt auf die Bank. Diese wiederum juchzte vor Freude und Vergnügen. «Endlich» lachte sie und sah Sein mit einem offenen und warmherzigen Blick direkt in seine Augen und von da in sein Herz.


Sie liess es gar nicht zu Wort kommen und sprach mit einer wunderbar angenehmen Stimme weiter: «Ich freue mich so sehr, dass du es in diesem Jahr geschafft hast. Ich warte hier schon so lange auf dich. Als wir klein waren, kannten wir uns gut. Leider haben wir uns dann aus den Augen verloren, genauer gesagt du mich!»

Sein hörte einen kleinen Vorwurf in dem Gesagten und antwortete eifrig: «Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Es ist mehr ein Gefühl, dass ich dich kenne, aber von wo, weiss ich nicht mehr. Sind wir zusammen in den Kindergarten oder waren wir auf derselben Schule?»

Die Gestalt schüttelte den Kopf und lachte dabei so heftig, dass sie fast von der Bank fiel. «Nein, hahaha! Wir kennen uns bereits viel länger! Wir kennen uns seitdem wir existieren!»

«Ja, dann sag mir doch, wie heisst du, wer bist du denn?», fragte Sein jetzt langsam angesteckt von der guten Laune seines reizenden Gegenübers.

«Ich? Ich bin ein Teil von dir. Ich wohne in deinem Herzen und mein Name ist Selbstliebe

Sein verzog das Gesicht zu einer ungläubigen Grimmasse, wobei in seinen Augen ein Erkennen aufblitzte.

«Ja-ja, ich seh’ schon du bist noch kritisch. Vielleicht kannst du auch mehr mit den Namen ’Eigenliebe’, ‘Selbstachtung’ oder ‘Selbstwertgefühl’ anfangen – vielleicht erkennst du mich unter diesen Namen?» Sein wollte etwas erwidern, doch sie fuhr unbeirrt fort: «Also mir gefällt Selbstliebe ja am besten. Es umschreibt wunderbar, was ich für uns empfinde und wozu ich da bin.»


Sein staunte nicht schlecht, als sie ihm erklärte, was ihre Aufgabe sei. «Ich sorge dafür, dass du ein positives Gefühl in dir tragen kannst. Dass du gut auf dich und deine Gesundheit achtest. Dass du dich als wertvolles und einzigartiges Sein wahrnehmen und sowohl deine positiven wie auch negativen Seiten annehmen lernst. Kurzum, dass du dich mit mir zusammen freuen kannst da zu sein, genauso wie du bist. Oh, und das hätt’ ich doch glatt vergessen - ich helfe dir unter anderem auch dabei, deine Bedürfnisse wahrzunehmen und ihnen Rechnung zu tragen.» Selbstliebe gab Sein jetzt einen Moment Zeit, das Gehörte ankommen zu lassen und sprach mit sanfter Stimme weiter: «ich glaube, es war wirklich an der Zeit, dass wir uns endlich wieder begegnen. Weisst du, ich habe Jahr für Jahr mitangesehen, wie du hier vorbeigehetzt bist. Immer höher, immer schneller, immer weiter und wie du dich selbst immer mehr aus dem Blick verloren hast. Und ich habe die leisen Zweifel in dir wahrgenommen, die dich immer mehr begleitet haben.»

Sein nickte nun etwas traurig und murmelte mehr zu sich selbst, «ja, das ist wohl so.»


Nun rempelte Selbstliebe sein Sein sanft mit dem Ellbogen an und sprach feierlich: «Kein Grund, jetzt den Kopf hängen zu lassen. Weisst du, ich mache dir jetzt ein Geschenk – ich schenke dir mich. Ich verspreche dir, wenn du dich um mich kümmerst und mich regelmässig auf dieser Bank hier besuchen kommst, werde ich von jetzt an immer da und präsent sein.


Ich werde


💚 dir Quelle für Liebe, Energie und Inspiration sein,

💚 dich an deine Ruhepausen erinnern,

💚 dich dabei unterstützen, dich selbst auf eine gesunde Art und Weise wertzuschätzen und zu lieben,

💚 dir zu neuem Tatendrang verhelfen,

💚 dich in regelmässigen Abständen zum Überdenken deines gewählten Weges bringen,

💚 dir dabei helfen deine Verantwortung dir selbst gegenüber wahrzunehmen,

💚 dir zu mehr Widerstandskraft verhelfen, damit du dein ganz persönliches XL-Projekt mit Gelassenheit und positiven Gefühlen angehen kannst,

💚 dir zum Beispiel mit Yoga, Mediation oder einem Waldspaziergang immer wieder achtsame Momente schenken.»


«Ja» strahlte die Selbstliebe, «ich werde dir all dies schenken, damit du deinem Ziel vom oberflächlichen Sein hin zum wirklichen Da-Sein Schritt für Schritt näher kommst.»

 

                                                                                                                       

Autorin Sabine Rentsch




 

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